Stört der „Affen­felsen“ das Stadtbild?

Das Studentenwohnheim am Rebenring, vom Volksmund „Affenfelsen“ genannt. Foto: Der Löwe
Das Studentenwohnheim am Rebenring, vom Volksmund „Affenfelsen“ genannt. Foto: Der Löwe

Veran­stal­tungs­reihe der Braun­schwei­gi­schen Landschaft mit moderierten Rundgängen zu ausge­wählten Beton-Gebäuden aus der Zeit zwischen 1960 und 1980.

„Die Moderne der Archi­tektur hat keinen guten Ruf, wer will das bestreiten? Sie ist verschrien als kalt, seelenlos und abweisend. Selbst Archi­tek­tur­kri­tiker und Denkmal­pfleger, Fachleute also, stehen ihr oft skeptisch gegenüber. Sind es nicht gerade die Bauten der 1960er und 1970er Jahre, die in unseren Stadt­räumen wie Fremd­körper wirken, keine Rücksicht auf die überkom­mene Substanz nehmen, sondern ausschließ­lich sich selbst zu genügen scheinen? Die Bauten der Moderne sind uns fremd geworden wie die Zeit, in der sie entstanden sind, eine Zeit, die wesent­lich von Fortschritts­gläu­big­keit und Aufbruch gekenn­zeichnet war. Dagegen wird histo­ri­sche und histo­ri­sie­rende Archi­tektur zunehmend geschätzt- und das nicht von ungefähr: In unserer heutigen, von Verun­si­che­rung und Zukunfts­angst geplagten Zeit steht sie für Rückver­si­che­rung und Kompen­sa­tion. indem wir sogar Schlösser und Kirchen wieder aufbauen, wollen wir uns – im Sinne eines neuen Histo­rismus  – eine vermeint­lich „heilere Welt” erschaffen. Da stören die modernen Bauten“.

So schreiben die Heraus­geber Norbert Funke und Ulrich Knufinke in ihrem Vorwort zum von der Braun­schwei­gi­schen Landschaft unter­stützten und 2017 im Michael Imhof Verlag erschienen Buch „Achtung modern! Archi­tektur zwischen 1960 und 1980.“  Es ist Resultat der Veran­stal­tungs­reihe, die in den Jahren 2013 und 2014 exempla­ri­sche Bauten der späten Moderne vor Ort beleuch­tete. Initiiert worden war die Aktion von der Arbeits­gruppe Denkmal­pflege der Braun­schwei­gi­schen Landschaft. „Es gehörte eine gewisse Portion Mut dazu, sich mit diesem Thema in die Öffent­lich­keit zu wagen, aber es wurde ein großer Erfolg“, sagt Anna Lamprecht, Geschäfts­stel­len­lei­terin der Braun­schwei­gi­schen Landschaft. Deswegen gibt es jetzt von September bis Februar 2019 sechs weitere Exkur­sionen. Ziele sind das Studen­ten­wohn­heim Rebenring in Braun­schweig, vom Volksmund wegen seiner Archi­tektur liebevoll „Affen­felsen“ getauft, die Paramen­ten­werk­statt St. Marien­berg und die St.-Thomas-Kirche in Helmstedt, das Rathaus in Salzgitter-Lebens­tedt, das Scharoun Theater in Wolfsburg sowie die Piano­for­te­ma­nu­faktur Grotrian-Steinweg in Braun­schweig.

„Wir freuen uns, dass das innova­tive und vorbild­hafte Projekt unserer Arbeits­gruppe Denkmal­pflege Anstoß für die Ausstel­lung ‘BRUTAL modern‘. Bauen und Leben in den 60ern und 70ern‘ im Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seums gewesen ist, die am 13. Oktober 2018 eröffnet wird. Wir begleiten die Ausstel­lung sehr gerne mit unserer zweiten Veran­stal­tungs­reihe im Rahmen­pro­gramm“, erklärt Anna Lamprecht. Das Projekt „Achtung modern!“ wurde in Koope­ra­tion zwischen der Braun­schwei­gi­schen Landschaft, dem Netzwerk Braun­schweiger Schule an der TU Braun­schweig und dem Forum Archi­tektur in Wolfsburg entwi­ckelt. Das Konzept der Exkur­sionen sieht unver­än­dert vor, dass zu Beginn jeder Führung eine mit dem jewei­ligen Gebäude verbun­dene Person ihre indivi­du­elle Sicht auf das Objekt präsen­tiert. Im Anschluss folgen Rundgänge mit archi­tek­tur­his­to­ri­schen Erläu­te­rungen, den Abschluss bildet eine Diskus­sion mit allen Gästen. Anmel­dungen sind erfor­der­lich. Die Teilnahme ist kostenlos möglich.

Die Braun­schwei­gi­sche Landschaft ist einer von 13 Landschafts­ver­bänden in Nieder­sachsen. Sie setzt sich im Auftrag ihrer Mitglieder – das sind die kreis­freien Städte Braun­schweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie die Landkreise Helmstedt, Peine und Wolfen­büttel – mit der Geschichte des alten Landes Braun­schweig ausein­ander. Sie fördert regionale Kultur, vernetzt ehren­amt­liche Initia­tiven und stärkt die regionale Identität. Wichtigste Akteure der Landschaft sind die in ihr organi­sierten rund 200 Vereine, Verbände und Gemeinden. Sie nutzen die Braun­schwei­gi­sche Landschaft als Plattform, auf der sie kultu­relle, histo­ri­sche und natur­kund­liche Projekte entwi­ckeln wie eben „Achtung modern!“.

Im Rahmen von „Achtung modern“ wurden, von der Braun­schwei­gi­schen Landschaft finan­ziert, drei Video­bei­träge mit Protago­nisten der damaligen Bauweise produ­ziert. Die Archi­tekten Hans-Joachim Pysall (Heinrich Nordhoff-Gesamt­schule in Wolfsburg), Helge Bofinger († 7. Juni 2018, Warenhaus Galeria Kaufhof/früher Horten in Braun­schweig) und Ulrich Hausmann (St. Thomas-Kirche in Helmstedt) erklären darin ihre Arbeiten. Die Filme werden im Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seum im Rahmen der am 13. Oktober begin­nenden Ausstel­lung gezeigt.

Hausmann sagt darin: „Mit Abwehr­re­ak­tionen haben wir gelebt oder leben müssen. Die Leute kannten Beton eigent­lich nur aus dem Bunkerbau und aus irgend­wel­chen kriege­ri­schen Gebäuden. Insofern waren das eigent­lich für uns Reaktionen, mit denen wir gerechnet haben.“ Bis heute hält die Kontro­verse über die Archi­tektur an. Die Fragen stehen weiter im Raum: Stört der „Affen­felsen“ das Stadtbild Braun­schweigs? Lässt es sich richtig schön heiraten im kalten Ambiente der St. Thomas-Kirche? Antworten gibt es bei den Rundgängen der Braun­schwei­gi­schen Landschaft.

Die Termine:

Montag, 24. September, 17 Uhr
Studen­ten­wohn­heim Rebenring „Affen­felsen“
Mit Jörg Kittner (Abtei­lungs­leiter Gebäu­de­ma­nage­ment STUDENTENWERK OstNie­der­sachsen) und Jan Laubach (Geschäfts­führer von IWB Ingenieure und ehem. Bewohner)
Treff­punkt: Hausein­gang Rebenring 61, 38106 Braun­schweig

Dienstag, 16. Oktober, 16 Uhr
St.-Thomas-Kirche und Kloster St. Marien­berg in Helmstedt

16 Uhr: Kloster St. Marien­berg – Paramente
Mit Mechthild von Veltheim (Domina des Klosters St. Marien­berg)
Treff­punkt: Haupt­portal Kloster St. Marien­berg, Kloster­straße 14, 38350 Helmstedt

17.30 Uhr: St.-Thomas-Kirche
Mit Rosemarie Winkler (Kirchen­vor­ste­herin Standort St. Thomas) und Detlef Gottwald (Propst der Propstei Helmstedt)
Treff­punkt: Haupt­ein­gang St. Thomas, Dietrich-Bonhoeffer-Straße 12, 38350 Helmstedt

Dienstag, 13. November, 17.30 Uhr
Rathaus Salzgitter-Lebens­tedt
Mit Michael Tacke (Stadt­baurat Salzgitter).
Treff­punkt: Foyer Haupt­ein­gang, Joachim-Campe-Straße 6, 38226 Salzgitter

Dienstag, 29. Januar 2019, 14 Uhr
Piano­for­te­ma­nu­faktur Grotrian-Steinweg Braun­schweig
Mit Guido Dopslaff, Klavier­bau­meister und Betriebs­lei­tung Grotrian-Steinweg.
Treff­punkt: Haupt­ein­gang, Grotrian-Steinweg-Straße 2, 38112 Braun­schweig

Dienstag, 12. Februar, 17 Uhr
Scharoun Theater Wolfsburg
Mit Nicole Froberg (Stadt Wolfsburg, Forum Archi­tektur) und Marita Stolz (Scharoun Theater Wolfsburg)
Treff­punkt: Haupt­ein­gang, Kliever­hagen 50, 38440 Wolfsburg

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