Kemenate blieb als einziges histo­ri­sches Bauwerk

Hagenbrücke und St. Katharinen, 1945. Foto: Archiv Heimatpfleger Braunschweig

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 21: Der Querschnitt der Straße Hagen­brücke wurde in den 1970er Jahren für den Verkehr mehr als verdrei­facht.

Hagen­brücke und St. Katha­rinen, Blick von der Kemenate Hagen­brücke. Foto: E. Arnhold

Der Blick durch die Hagen­brücke auf den elegant aufstre­benden Westbau von St. Katha­rinen gehörte zu den eindring­lichsten Stadt­bil­dern im alten Braun­schweig. Und ein solches Motiv existierte hier vor den verhee­renden Zerstö­rungen des Zweiten Weltkrieges gleich zweifach: Weber­straße und Andre­as­kirche in der Neustadt bildeten ein ebenso imposantes Ensemble. Diese einzig­ar­tigen Zeugnisse mittel­al­ter­li­chen Städte­baus wurden nach ihrer Vernich­tung durch einen geradezu erschüt­ternd belang­losen Wieder­aufbau völlig entwertet.

Die Hagen­brücke ist in den 1970er Jahren im so genannten Kerntan­gen­ten­viereck zur Erschlie­ßung der Innen­stadt für den Indivi­du­al­ver­kehr aufge­gangen. Damit wurde ihr Querschnitt – genauso wie derjenige von Küchen- und Lange Straße – mehr als verdrei­facht. Der 1311 erstmals als „upper Hagen­brugke“ erwähnte Straßenzug zwischen Hagen­markt und Neustadt­rat­haus war jedoch von Beginn an bedeutend für den inner­städ­ti­schen Verkehr: Er war die wichtigste Verbin­dung der Weich­bilde Hagen und Neustadt. Obwohl sie über den inzwi­schen verrohrten inner­städ­ti­schen Okerlauf führte, der hier übrigens die Weich­bild­grenze zwischen Hagen und Neustadt markierte, lassen auch die ältesten Abbil­dungen dieser Straße keine Brücke erkennen.

Seit dem Spätmit­tel­alter sind beide Seiten der Hagen­brücke auch über den Fluss hinweg mit geschlos­sener Bebauung versehen. Es handelte sich daher um eine bebaute Brücke. Im Prinzip vergleichbar mit der berühmten Krämer­brücke in Erfurt, aber eben nur mit einem Brücken­bogen. In Wolfen­büttel ist eine gleich­ar­tige Situation im Bereich der Krambuden erhalten („Klein-Venedig“).

Einst klein­tei­lige Bebauung

Hagen­brücke 22, vor 1893. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Die enge und klein­tei­lige Bebauung der Hagen­brücke bestand bis zum Abbruch des Eckhauses zur Straße Höhe im Jahr 1893 fast ausschließ­lich aus Fachwerk­bauten des 15. und 16. Jahrhun­derts. Statt­lichstes Haus war Hagen­brücke 2 mit zwei kräftig auskra­genden Stock­werken (ursprüng­lich Speicher­ge­schosse) und steinernen Brand­gie­beln. Die Brand­mauern des um 1500 entstan­denen Hauses bildeten mit ihren Stufen­gie­beln ein Unikat im spätgo­ti­schen Hausbau der Stadt. Die aus Backsteinen gemau­erten Giebel kragten über aufwendig gestal­teten Konsolen mit den Stock­werken entspre­chend vor.

Hinter den Häusern Hagen­brücke 1, 2 und 4 standen Kemenaten. Von diesen mittel­al­ter­li­chen Stein­bauten ist lediglich die heutige Kemenate Hagen­brücke, als einziges histo­ri­sches Bauwerk der Straße erhalten geblieben. Vor der Zerstö­rung waren die Kemenaten für den Passanten nicht sichtbar – sie befanden sich an den Rückseiten der Vorder­häuser in den zuletzt dicht bebauten Höfen. Der Standort der 2015 sanierten und baulich erwei­terten Kemenate Hagen­brücke lag hinter einem kleinen und zuletzt verputzten Fachwerk­haus Nr. 4 aus dem 15. Jahrhun­dert.

Stifts­her­ren­häuser als Beispiele

Hagen­brücke mit St. Katha­rinen vor 1893. Foto: aus Braun­schweigs Baudenk­mäler 1893

Weitere bemer­kens­werte alte Bürger­häuser waren an der südlichen Straßen­seite zu bestaunen. Die reichsten Schnit­ze­reien zierten das schmale Haus Hagen­brücke 12. Die beiden einstigen Speicher­stöcke des inschrift­lich mit 1523 datierten Fachwerk­hauses zeigten gotisches Maßwerk und einen Laubge­win­de­stab. Zu den größeren Häusern gehörte Nr. 15, dessen Baujahr ebenfalls inschrift­lich mit 1483 angegeben war. Es gehörte zu der überaus umfang­rei­chen Gruppe spätmit­tel­al­ter­li­cher Holzbauten mit Treppen­friesen. Solche Treppen­friese finden sich auf den Schwell­balken der Stock­werke und tragen mit Knaggen und Balken­köpfen zur überaus plasti­schen Wirkung der vorkra­genden Hausfronten bei. Erhaltene Beispiele sind die Stifts­her­ren­häuser an der Kleinen Burg oder das Haus Ritter St. Georg in der Alten Knochen­hau­er­straße.

Eine besonders eindrucks­volle Häuser­gruppe befand sich bis zum 1893 erfolgten Abbruch dem Neustadt­rat­haus gegenüber an der Ecke zur Höhe. Das mit 1509 datierte Eckhaus Hagen­brücke 22 war wiederum mit einem Treppen­fries verziert. Fragmente der Schwell­balken mit Inschrift wurden beim Abbruch geborgen und befinden sich im Städti­schen Museum Braun­schweig. Die Inschrift lautet: „Anno d(omi)ni m° ccc°cc vnn ix / santi vrba(n)i we ka(n) midat alle man tho wille(n) sy“ (Wer kann, der sage mir, wie man es allen Menschen recht machen kann). Überragt wurde das Haus Nr. 22 von seinem östlichen Nachbarn mit seinen beiden ganz schlichten und weit auskra­genden Speicher­ge­schossen. Es war vermut­lich das älteste Fachwerk­ge­bäude der Hagen­brücke. Konstruk­tion und Gestal­tung deuteten hier auf eine Bauzeit in der 1. Hälfte des 15. Jahrhun­derts.

Histo­ri­sche Tiefe verloren

Betrachtet man die Gesamt­an­sichten des alten Straßen­zuges, so erwecken die Dachauf­bauten (Zwerch­häuser) den Eindruck von Giebel­häu­sern. Es handelte sich jedoch durchweg um trauf­stän­dige Häuser, deren Dachseiten der Straße zugewandt waren. Ein Gang durch das Magni­viertel lässt diese für das alte Braun­schweig prägende Bauweise noch heute erkennen. Die Zwerch­häuser wurden im 18. und 19. Jahrhun­dert auf den älteren Häusern zumeist mit der Absicht errichtet, Wohnraum zu gewinnen. Damals sind auch die ursprüng­li­chen Speicher­ge­schosse vielfach zu Wohnzwe­cken umgebaut worden. Die Lager­räume verlegten Handwerker und Kaufleute nun häufig in die Hinter­höfe, wo sich die Bebauung verdich­tete. So spiegeln die alten Häuser neben Archi­tektur- und Kunst­ge­schichte auch den Alltag der Menschen und den Wandel des Wohnens und Arbeitens in früheren Jahrhun­derten wider. Diese histo­ri­sche Tiefe ist durch die Zerstö­rungen durch den Krieg und seine Folgen unwie­der­bring­lich verloren gegangen.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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