Die erste Techni­sche Hochschule Deutsch­lands

Collegium Carolinum um 1800. Foto: IBR
Collegium Carolinum um 1800. Foto: IBR

275 Jahre Techni­sche Univer­sität Braun­schweig, Folge 2: Gründung des Collegium Carolinum

Ausgangs­punkte der Gründung des Collegium Carolinum in Braun­schweig waren einer­seits das ernst­hafte Interesse des regie­renden Herzogs Carl I. an einer grund­le­genden Verbes­se­rung des Bildungs­we­sens im Braun­schwei­gi­schen, anderer­seits die Aktivi­täten von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709 – 1789). Jerusalem, am 22. Dezember 1709 in Osnabrück als Sohn einer Pasto­ren­fa­milie geboren, studierte in Leipzig, Göttingen und Leiden Theologie und erwarb 1731 in Witten­berg den Magis­ter­titel. Jerusalem, der schon bald einer der führenden Vertreter der Neologie in Deutsch­land werden sollte, begrün­dete nach dem Studium seine wissen­schaft­li­chen Inter­essen auf ausge­dehnten Bildungs­reisen durch Holland und England. Seit 1742 war Jerusalem im Dienste des braun­schwei­gi­schen Hofes in Wolfen­büttel tätig.

Als Hofka­pellan, Reise­pre­diger und besonders als Erzieher des Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand gelang es ihm aber schon sehr bald, großen Einfluss beim Herzogs­paar zu gewinnen und als Berater in schuli­schen und bildungs­po­li­ti­schen Fragen eine maßge­bende Rolle im Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel zu spielen. Entspre­chend groß war auch sein Einfluss bei den Planungen und der Reali­sie­rung des Collegium Carolinum.

In neueren Darstel­lungen wurde stets an die Person Jerusa­lems angeknüpft und auch das Programm der neuen Schule in beson­derer Weise definiert: „Jerusalem aber bleibt der Ruhm, den Gedanken der Techni­schen Hochschule zum ersten Mal in Deutsch­land und zwar in unmiss­ver­ständ­li­cher klarer und scharfer Form, öffent­lich vertreten zu haben. Aber auch der noch größere Ruhm, die erste hochschul­mä­ßige Lehran­stalt für Techniker und damit die erste Techni­sche Hochschule Deutsch­lands in der damals möglichen Form ins Leben gerufen zu haben, kann ihm nicht abgespro­chen werden. Im Prinzip entsprach die Anstalt bereits bei ihrer Gründung den Zielset­zungen, die später den Aufga­ben­be­reich der polytech­ni­schen Lehran­stalten und schließ­lich der Techni­schen Hochschulen ausmachten.“

Diese auf Jerusalem bezogene Betrach­tungs­weise im Zusam­men­hang mit der Gründung des Collegium Carolinum ist eng verbunden mit der ersten Bewertung des Vorgangs bei Johann Joachim Eschen­burg (1743 – 1820). Er wollte 1812 mit seinem „Entwurf einer Geschichte des Collegii Carolini in Braun­schweig“ seinem verehrten Freund Jerusalem ein litera­ri­sches Denkmal setzen, und bis in die jüngste Zeit hat sich diese Gründungs­tra­di­tion als allge­meine Darstel­lung gehalten.

Tatsäch­lich aber lässt sich aufzeigen, dass für die Gründungs­phase und auch für die Diskus­sion der inhalt­li­chen Konzep­tion der neuen Schule neben dem Aufklärer Jerusalem zwei weitere heraus­ra­gende Persön­lich­keiten Braun­schweigs maßgeb­lich waren:

Aus dem Kreis der staat­li­chen Verwal­tung war das der Jurist Heinrich Bernhard Schrader (1706–1773), Sohn des Braun­schweiger Bürger­meis­ters Paul Schrader. Unter Carl I. trat er in den Staats­dienst ein, zunächst als Hofrat, dann ab Februar 1754 als wirkli­cher Geheimrat und Staats­mi­nister, der sich nach der Erhebung in den Adels­stand nach seinem Rittergut „von Schlies­tedt“ nannte. Schrader von Schlies­tedt besaß in Fragen der Wirtschafts­po­litik einen nahezu unein­ge­schränkten Einfluss auf den Herzog und betrach­tete die Proble­matik des Collegium Carolinum ganz wesent­lich unter ökono­mi­schen Gesichts­punkten.

Gegen­spieler in inhalt­li­chen Fragen des Schul­we­sens war für Jerusalem dagegen der konser­vativ-orthodoxe Theologe Johann Christoph Köcher (1699 – 1772). 1751 übernahm Köcher, nach Ausein­an­der­set­zungen um die Führung des Collegium Carolinum, eine Professur für Theologie an der Univer­sität Jena. Das Collegium Carolinum hatte letztlich nicht einen, den populären Abt Jerusalem, sondern mehrere geistige Gründungs­väter mit unter­schied­li­chen pädago­gisch-wissen­schaft­lich-wirtschaft­li­chen Zielset­zungen.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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